Doctrix?

Weibliche Titel nicht vorgesehen...

Neulich bei der Redaktionssitzung kam die Frage auf, wie eigentlich die weibliche Form des Doktortitels lautet. Dies ist der Bericht über eine eher unbefriedigende Recherche. Gelernt haben wir eigentlich nur, wo man überall fragen kann.

Mögen sich auch die wenigsten Frauen an einer männlichen Sammelbezeichnung z.B. von Berufsgruppen stören (klar, wer mag schon Wortklumpen wie Steuerfachgehilfe/Steuerfachgehilfin), so ist doch ein klarer Trend zur femininen Einzelbezeichnung festzustellen. Zur seit jeher so genannten Lehrerin und Krankenschwester gesellt sich heute (fast) selbstverständlich die Kraftfahrzeugmechanikerin, die Beamtin, die Ärztin. Welche Frau würde schon von sich sagen, »ich bin Angestellter« oder »ich bin Student«? Dieser Trend setzt sich allmählich auch bei akademischen Titeln durch. Auf der Magisterarbeit steht immer häufiger Magistra Artium, und in den Vorlesungsverzeichnissen wird zwischen Prof. und Prof’in unterschieden.

Doch was wird aus der Frau Doktor? Ihr haftet immer noch der Ruch an, doch nur die Frau (des) Dr. Franz Dominanz zu sein. Wie lautet die weibliche Form des Doktortitels?

Duden

Der noch gültige Duden kennt zwar die Doktorandin, doch in dem immerhin eine ganze Spalte umfassenden Eintrag Doktor finden wir keinen Hinweis auf ein Femininum – aber: es gibt ein Lemma Doktorin. Im Laufe der Duden-Geschichte hat sich die Deutung desselben gewandelt. So heißt es in der 1951er Ausgabe noch »Doktorin (umg. für: Ärztin, auch: Doktor-, Arztfrau«; 1991 lesen wir »Dok|to|rin (ugs. auch für Ärztin)«. Dieses auch für könnte auch eine Rückkehr zur Arztgattin bezeichnen. Aber wo bleibt der wissenschaftliche Titel?

Die Duden-Redaktion gibt nicht nur das gelbe Nachschlagewerk heraus; ein ganzes regenbogenfarbiges Regalfach bietet uns Hilfe bei der richtigen Verwendung der deutschen Sprache an... mal schauen: Die sinn- und sachverwandten Wörter (Duden-Band 8) könnten durchaus auch Synonyme für Doktorin auflisten, aber Fehlanzeige. Lediglich ein Doktor (vgl. Arzt), keine Frau an seiner Seite (nebenbei bemerkt – im Vorwort findet sich nicht einmal ein Hinweis darauf, daß die Maskulina für beide Geschlechter stehen, aber gut, damit können wir leben). Das Stilwörterbuch (Band 2) bietet uns zumindest an, »sehr geehrte Frau Dr. Schultz!; sehr geehrte Frau Doktor!« zu schreiben. Gibt es denn wirklich keinen Ausweg?

Aber doch... ein kleiner Lichtblick. Das oftmals wirklich nützliche Nachschlagewerk Richtiges und gutes Deutsch (Band 9) widmet unserem Problem einen ganzen Artikel: Weibliche Titel und Berufsbezeichnungen, der in der Quintessenz folgendes aufführt:

»1. Für bestimmte Titel und Berufsbezeichnungen haben sich weibliche Entsprechungen noch nicht allgemein durchgesetzt. So heißt es in der Anrede noch meist Frau Professor. Wird aber von Frauen, die solche Bezeichnungen führen, in der 3. Person gesprochen, dann braucht man vielfach schon die weibliche Form: Sie ist Professor/Professorin an der Musikhochschule. Auch in der Anrede wird heute vielfach die weibliche Form des Titels gewünscht. Zuweilen wird zur Geschlechtskennzeichnung einem Titel auch das Attribut weiblich vorangestellt (Sie war der erste weibliche Minister). Titel oder Berufsbezeichnungen des Mannes auf die Ehefrau (in der Anrede) zu übertragen ist heute kaum mehr üblich. Man sagt also nicht Frau Doktor, wenn der Titel nicht der Frau selbst zugehört.«

Möglicherweise geben wir doch besser auf – vielleicht gibt es einfach keine Lösung.

Gesellschaft für deutsche Sprache

Um sicherzugehen, haben wir noch bei der Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. angefragt. Die GfdS gibt dankenswerterweise in allen Zweifelsfällen ausführlich Auskunft. In unserem Fall wurde sogar die Anfrage ins deutschsprachige Ausland weitergeleitet, so daß uns nunmehr verschiedene Versionen (z.T. unterschieden zwischen den einzelnen Universitäten) vorliegen: »In Deutschland ist die Entscheidung über die akademischen Grade von der jeweiligen Universität abhängig. Es wird der Titel ‘Doktor’ sowie ‘Doktorin’ für beide Geschlechter verliehen.« (Dr. Karin M. Frank-Cyrus, Geschäftsführerin der GfdS); »Generell werden [durch die Schweizer Universitäten] die Titel geschlechtsspezifisch verliehen; bei der Promotion wird der Titel Doktor meist für beide Geschlechter verwendet (im Lat. evtl. geschlechtsneutral), die belegte Form ‘doctrix’ ist gelegentlich in gelehrten akademischen Ansprachen zu hören. Umgangssprachlich wird aber für Frauen oft die fem. Form ‘Doktorin’ verwendet. Universität Bern: [...] Beim Doktorat wird für beide Geschlechter die Form ‘Doktor’ (z.B. Frau X wird auf Grund ihrer Dissertation der Titel eines Doktors der Philosophie verliehen). Bei den Habilitationen wird geschlechtergerecht formuliert: Privatdozent/Privatdozentin. Universität Zürich: Licentiatus/Licentiata (Lizentiatin), Doktor/Doktorin, Privatdozent/Privatdozentin. Universität St. Gallen (Handelshochschule): Ausschließliche (???) Verwendung der Abkürzung, etwa lic. iur., lic. oec. usw. Bei Promotionen können Frauen eine Ausstellung der Urkunde mit der femininen Gradbezeichnung ‘Doktorin’ verlangen.« (Urs Albrecht, Bern)

Zum Schluß noch eine eher als Kuriosum erscheinende Zeitungsmeldung aus dem Wiesbadener Kurier vom 24.1.89: »Vorfahrt für Frau Doktor – Der Fachbereich Informatik der Universität Hamburg hat seine Promotionsordnung so geändert, daß im Text nur die weibliche Personenbezeichnung verwendet ist. So heißt es beispielsweise: ‘Der Fachbereich Informatik verleiht den Grad einer Doktorin – bei männlichen Kandidaten den Grad eines Doktors – auf Grund einer von der Bewerberin verfaßten wissenschaftlichen Abhandlung.’ Die neue Sprachform soll eine ‘Bewußtseinsförderung’ in dem noch immer wenig von Frauen bestimmten Wissenschaftbereich bewirken.«

Fazit: Auch wenn sie in Österreich immer noch eher für die Gattin eines Promovierten gehalten würde – die Doktorin trägt also die angemessene weibliche Form des Doktor(innen)titels. Gegen die häufigste umgangssprachliche Verwendung für ‘Ärztin’ ist wohl nichts einzuwenden, da ja generell auch jeder Arzt, ob mit oder ohne Titel, mit ‘Herr Doktor’ angesprochen wird. Überhaupt bedarf es mehr als nur der Sichtbarmachung durch Sprache, bis Frauen in der Wissenschaft angemessene Achtung entgegengebracht wird.

Zusatz
angesichts des Wirbels um die Rechtschreibereform

Ich benutze den Duden nicht als der Weisheit letzten Schluß, sondern in dem Bewußtsein, daß sich die große Mehrheit der Deutschen in Fragen nach »richtiger« und »falscher« Schreibung hier Antwort verschafft. Der Duden ist aber kein präskriptives, sondern ein deskriptives Werk, dessen Redaktion bisher die mehrheitlich übliche Schreibung festhielt. Wird sich also das (etymologisch eigentlich unsinnige) frau im momentanen Tempo weiter verbreiten, wird es auch irgendwann im Duden auftauchen (vgl. wegen dem). Ganz demokratisch.


erschienen in Wilhelmine Nr. 3, Herbst 1996