»Pille schlucken – Fötus weg«?

Mifegyne – Risiken und Nebenwirkungen
einer populistischen Diskussion

Man sollte meinen, die institutionelle Diskussion um das ethische Pro und Contra einer Abtreibung sei mit der Novellierung des § 218 StGB für die nächsten Jahre vom Tisch. Doch mit der Entscheidung für die Zulassung der »Abtreibungspille« Mifegyne® (vormals RU 486) wurde neuerlich öffentlich gestritten, ob die gesetzliche Reglementierung verschärft oder abgeschafft werden könne. Die Auseinandersetzung ist gut und richtig, werden doch die ethischen Grundsätze einer Gesellschaft hinterfragt und überprüft. Allein, der große Schönheitsfehler an dieser Diskussion ist, daß auf beiden Seiten vorgegeben wird, man rede über die Methode des Schwangerschaftsabbruchs.

Besonders kritisch ist hierbei zu betrachten, daß offenbar die Wirkungsweise des Pharmazeutikums eine untergeordnete Rolle spielt, zumal von der "Bagatellisierung der Abtreibung" geredet wird, gerade so, als bestelle sich die ungewollt Schwangere in der Apotheke »einen Zehnerpack Kondome und die Abtreibungspille, bitte«. Wie wirkt denn dieses Zaubermittel eigentlich, das die einen fürchten wie der Teufel das Weihwasser und die anderen begrüßen wie die gute Fee mit den drei Wünschen?

So funktioniert das

Was sich im Körper tut, wenn eine Eizelle befruchtet wird, haben wir sicherlich alle schon einmal gehört (und die meisten von uns auch ziemlich schnell wieder vergessen): Nach dem Eisprung wird im Eierstock das Gelbkörperhormon Progesteron gebildet, um das Wachstum der Gebärmutterschleimhaut anzuregen - so kann sich die befruchtete Eizelle überhaupt dort einnisten. Die Ausschüttung von Progesteron wird gebremst, sofern keine Befruchtung stattfindet, oder gesteigert, was eine eingetretene Schwangerschaft unterstützt.

Der Trick des Mifegyne-Wirkstoffs Mifepriston besteht darin, daß seine Struktur der des Progesterons sehr ähnlich ist. Er heftet sich an die für das Progesteron freigehaltenen Rezeptoren und macht dadurch quasi seine Konkurrenz handlungsunfähig. Mifepriston wirkt nun genau umgekehrt: Es hemmt das Schleimhautwachstum, lockert den Muttermund und erhöht die Sensibilität für Prostaglandine.

Prostaglandine sind homonähnliche, wehenauslösende Stoffe, die ihrerseits ebenfalls den Gebärmutterhals geschmeidiger machen und zu Kontraktionen der Gebärmutter führen. Die Folge für die befruchtete Eizelle ist eine (fast natürliche) Fehlgeburt.

Und so läuft’s ab

Im Gegensatz zur bisher üblichen Ausschabung unter Vollnarkose ermöglicht die Abtreibungspille einerseits ein für den Körper eher schonendes Verfahren, andererseits bedingt sie ein bewußtes Miterleben und aktives Teilnehmen am Schwangerschaftsabbruch. Dieser darf auf medikamentösem Weg bisher auch nur bis zum 49. Tag nach der letzten Regel vorgenommen werden.

Dabei muß ein Zeitplan eingehalten werden, der mindestens zwei Tage in Anspruch nimmt und sich im ungünstigsten Falle über zwei Wochen hinzieht. Dem obligatorischen Besuch einer Beratungsstelle folgen vier Termin bei der Ärztin/dem Arzt und ggf. ein Klinikaufenthalt.

1. Tag: Beim ersten Termin muß ein Schwangerschaftstest durchgeführt und eine gründliche Untersuchung vorgenommen werden, um Gegenanzeigen (s.u.) auszuschließen. Durch eine vaginale Ultraschall-Untersuchung kann festgestellt werden, wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten ist. Kann die Anwendung von Mifegyne aus ärztlicher Sicht befürwortet werden, darf die erste Einnahme fühestens 24 Stunden nach dieser Untersuchung stattfinden.

2. Tag: Die Frau bekommt 600 mg Mifepriston in Form von drei Tabletten à 200 mg, die sie unter Aufsicht schlucken muß. (So soll verhindert werden, daß Mifegyne auf den Schwarzmarkt gelangt.) Nach etwa drei Stunden darf die Patientin die Praxis oder Klinik verlassen - um dem Risiko eines Kreislaufversagens Rechnung zu tragen. Der Spontanabort tritt in den meisten Fällen bereits an diesem Tag ein. Ist dies nicht der Fall, geht die Prozedur nach 48 Stunden weiter.

4. Tag: Der Patientin werden Prostaglandine (Tabletten oder Vaginalzäpfchen) verabreicht. Danach bleibt sie für vier bis sechs Stunden unter Beobachtung. Nun sollte der Fötus abgestoßen werden. Bei zehn Prozent der Frauen dehnt sich dieser Zeitraum allerdings auf 24 Stunden oder mehr aus. Ein neueres Verfahren sieht nach drei Stunden ohne Komplettabort eine weitere Dosis Prostaglandin vor.

In 98,6 Prozent der Fälle ist die Abtreibung hier vollzogen. Bei vierzehn von tausend Frauen muß allerdings dann doch auf die konventionelle, chirurgische Methode zurückgegriffen werden (Narkose, Ausschabung, Absaugen).

Nach erfolgreichem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch wird nach etwa zwei Wochen ein vierter Termin für einen Bluttest und eine vaginale Ultraschalluntersuchung angesetzt.

Risiken und Nebenwirkungen

Nicht in allen Fällen ist der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch die schonendere Methode. Gegenanzeigen liegen beispielsweise vor, wenn eine Eileiterschwangerschaft vorliegt, wenn eine Leber- oder Nierenerkrankung besteht. Auch Blutgerinnungsstörungen, Asthma, Epilepsie und Allergien gehören zum Katalog der Kontraindikation. Seit 1991 eine starke Raucherin in Frankreich nach der medikamentösen Abtreibung an Herz-Kreislauf-Versagen verstarb, wird auch Raucherinnen ab 35 Jahren von dieser Methode abgeraten.

VERGLEICH chirurgisch medikamentös
max. Zeitraum bis 12. Woche bis 7. Woche
Durchführung durch ärztliches Personal unter ärztlicher Aufsicht
Dauer ein Tag 2 Tage bis 3 Wochen
Nebenwirkungen starke Nachblutungen Krämpfe (20%), Übelkeit (20%), Schwindelgefühl (50%), Durchfall, Atmungsprobleme
Risiken Narkoserisiko; Infektion; Verletzungen; Unfruchtbarkeit 7-12 Tage Blutungen, z.T. sehr schmerzhaft; kann fehlschlagen - Ausschabung indiziert
Vorteile schneller;psychisch schonender: Die Verantwortung für den Eingriff kann an das ärztliche Personal delegiert werden physisch schonender:Komplikationen treten selten auf
Nachteile Eingriff wird als Aggression, Verstümmelung wahrgenommen größere Neigung zu Schuldgefühlen; Ausschabung muß ggf. doch vorgenommen werden (1,4%)
Kosten ... ca. 120 DM für 600 mg

Weitere Anwendungsgebiete

Daß es den marktschreierischen GegnerInnen und BefürworterInnen letztlich gar nicht um Mifegyne geht, zeigt sich auch daran, daß kaum bekannt ist, wie der Wirkstoff Mifepriston bei anderen Indikationen eingesetzt werden kann. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nennt in seiner Pressemitteilung anläßlich der Zulassung von Mifegyne am 6. Juli 1999 noch die begleitende Anwendung bei einem instrumentellen Schwangerschaftsabbruch und die »Einleitung der Wehentätigkeit bei intraunterinem Fruchttod«. Edouard Sakiz, landläufig als »Erfinder« von RU 486 gehandelt, weist auf die geburtserleichternde Wirkung auf den Gebärmutterhals hin, die momentan erforscht wird. Der »Vater« der Substanz (familiäre Fragen dieser Art werden mit einer Vehemenz diametral zur biologischen Vaterschaftsfrage verfolgt), Prof. Étienne-Émile Baulieu, bedauert, daß die abortiven Eigenschaften derart im Mittelpunkt des Interesses stehen, könne Mifepriston doch beispielsweise auch bei der Therapie hormonahängiger Krebsarten und bestimmten Stoffwechselstörungen eingesetzt werden.

Ferner soll Mifegyne in der Theorie auch als Kontrazeptivum angewandt werden können - bei beiden Geschlechtern. Das Deutsche Ärzteblatt vermeldete 1997: »Beim Mann sind die Forschungen noch im Initialstadium; in vitro führe RU 486 jedoch zu einer funktionellen Schädigung der Spermien.« Wir können getrost davon ausgehen, daß sich diese Forschungen noch nicht dem Endstadium genähert haben - nach unseren Informationen sucht beispielsweise auch das Institut für Reproduktionsmedizin Münster seit Jahren nach Probanden für männliche Kontrazeption.

Wer bagatellisiert hier?

Vielfach wurde in der öffentlichen Diskussion die Befürchtung geäußert, die medikamentöse Abtreibung könne durch das schonendere Verfahren einen leichtfertigen Umgang provozieren, die Abbruchrate in die Höhe treiben und gar den pharmazeutischen Schwarzmarkt wieder richtig in Schwung bringen (Mifegyne ist eben nicht über Apotheken oder den pharmazeutischen Großhandel erhältlich). Beschäftigt man sich eingehender mit der Thematik, drängt sich allerdings der Verdacht auf, daß hier nicht der Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch, sondern vielmehr die Diskussion bagatellisiert wird. In Frankreich wurde die Abtreibungspille bereits 1988 zugelassen, die Zahl der Abtreibungen ist nicht angestiegen; nur etwa jede dritte Frau wählt Mifepriston. Die bisherigen Erfahrungen zeigen eindeutig, daß die Entscheidung gegen eine Schwangerschaft nicht von der Methode abhängt.

Die Abtreibungsgegner haben die Zulassung von Mifegyne zum Anlaß genommen, die Grundsatzdiskussion über die Definition von Leben und den rechtlichen Status des Schwangerschaftsabbruchs an sich neu aufzurollen. Das funktioniert jedoch nicht, indem man eine alternative Methode diffamiert. Die Wahlmöglichkeit kommt letztlich - momentan natürlich immer unter Berücksichtigung des § 218 StGB - jeder Frau im Schwangerschaftskonflikt zugute.


erschienen in Wilhelmine Nr. 7, Herbst 1999