Begegnung im Regen Nach dem brüllendheißen Tag, nach einem ermattenden Marsch, kam der Regen nicht eigentlich ungelegen nur so plötzlich. Daheim wußte ich immer, wann es regnen würde. Man ging dann nicht raus oder nahm einen Schirm mit. Ich hatte einen sehr großen, mit einem hübschen Streublümchenrand. Jetzt hatte ich keinen, und ich hatte auch keine Ahnung, woher das viele Wasser so plötzlich kam. Hätte ich ein wenig mehr auf die Einheimischen geachtet, wäre mir vielleicht nicht entgangen, daß sie vorbereitet gewesen waren oder daß es ihnen zumindest gleichgültig war. Ihre Füße steckten alle nackt in grellbunten Gummilatschen. Solche, in denen man Schweißfüße bekommt und am Strand immer Sand und Muschelsplitter zwischen die Zehen. Zugegeben, jetzt wären sie praktisch gewesen so konnte ich die Straße nicht überqueren. Aber diese Leute in ihren langen Gewändern watschelten einfach durch die Lachen auf dem Gehweg und rafften nur den Stoff etwas, um durch die überflutete Straße zu waten. Mit meinen robusten Leinenshorts hatte ich zwar kein Problem mit dem Waten, doch die Ledersandalen hätte ich danach wegschmeißen können. Während ich noch sinnierte, ob eher die Schnallen rosten oder der Klebstoff aufweichen würde, winkte Loretta auf der anderen Straßenseite durch ein Fenster. Da drüben saß meine Reisegruppe im Trockenen bei einem Melonensaft oder Zuckertee. Hätte ich nicht so lange gefeilscht mit dem Uhrenhändler weiter hinten, hätte ich es auch noch über die Straße geschafft. Schließlich hatte ich dem lauten Kerl doch den überhöhten Preis für das Cartier-Imitat gezahlt und war an den schmuddeligen Garküchen entlang langsam hinter der Gruppe hergeschlendert. Das ewige Geplapper von Loretta über die schöne Haut der Frauen hier und dieses himm-lisch unkomplizierte Chaos hatte mir den Nerv getötet. Jetzt aß sie dort drüben in dem Café Ananas am Stiel. »Da könnte ich mich reinlegen!« Beinahe hätte ich Loretta laut nachgeäfft, diese schrille, affektierte Stimme. Für den ganzen Rest meines Lebens würden mich solche Stimmen an schwüle Hitze und dreckige Straßen erinnern. Ich stand zwar nicht im Regen, aber allmählich weichte ich auch so auf, denn die Luft unter diesem Vordach war feucht geworden. Zudem prallte das Wasser mit einer solchen Wucht vom Boden zurück, daß man den Regen hier von unten zu spüren bekam. Ich war hier stehengeblieben, weil die Ampel gerade rot wurde, als ich wieder aufschließen wollte. Es war eine recht große Kreuzung; die Ampel hatte zwei Fußgängerüberwege: einen den Weg der von rechts und links vorüberklappernden Fahrzeuge kreuzenden und dahinter einen vor den Rechtabbiegern von gegenüber Vorrang gewährenden. Durch einen ungünstigen Zufall waren die Ampeln nie zur gleichen Zeit grün; zudem mußte man auf der Verkehrsinsel ziemlich lange auf die nächste Grünphase warten. Auch machte ein nicht abreißender Verkehr es unmöglich, die Schaltung zu ignorieren. So mußte ich abwarten, bis der zunächst merkwürdigerweise immer noch heftiger werdende Regen irgendwann vielleicht wieder schwächer würde. Für meine Sandalen sah ich sowieso keine Rettung mehr schade, sie waren wegen des Fußbetts ziemlich teuer gewesen. Augenblicklich war es überhaupt gänzlich unmöglich, einigermaßen trocken über die Straße zu kommen. Auch ohne Ampel. Wie eine voll aufgedrehte Dusche trommelte der Monsumregen mit ohrenbetäubendem Lärm auf die Wellblechdächer. Ich war überzeugt davon, daß die Tropfen (sofern es überhaupt Tropfen waren und nicht Wasserstrahlen) ähnlich Hagelkönern auf der Haut stechen würden. Bei dem Gedanken mußte ich schmunzeln, denn ich stellte mir vor, wie diese dunkelhäutigen Wesen so, wie sie waren im Hagel in Paderborn stünden. Vermutlich ahnten sie nicht einmal, daß Wasser noch in anderer Form als in Regen oder Eiswürfeln vorkommen könnte. Sie kannten hier ja so vieles nicht. Klopapier zum Beispiel. Wir mußten immer ein paar Taschentücher dabei haben, wenn wir das Hotel verließen. Loretta hatte uns erklärt, daß man hier mit der linken Hand das Gesäß abwischt und mit rechts ißt. Andere Völker, andere Sitten. Eine Unsitte war übrigens auch der fehlende Anstand Frauen gegenüber. Wenn sie nur weiße Haut sehen, werden sie zu geifernden Tieren. Aus jeder Richtung hörst du pfeifen oder »Hello Miß« hinter dir, vor dir, neben dir. Auch jetzt. Was soll man anderes machen als sie zu ignorieren? Unsere Männer zuhause hätten sich längst mehrere Ohrfeigen eingefangen, aber das kann man hier ja nicht machen. Man kann ja nie wissen, wie die dann reagieren. Völlig unberechenbar. Loretta hatte uns geraten, lange Kleidung zu tragen. Lange Hosen und Blusen. Aber dabei geht man ja ein. Und wofür fliegt man schließlich so weit, wenn man dann mit der gleichen bleichen Haut wieder im Büro antritt? Die lachen sich ja kaputt. Allmählich war mir aber trotzdem nach langen Klamotten, denn der feuchte Stoff fühlte sich jetzt kühl an und ließ mich die nackten Waden und Unterarme erst recht spüren. Auch die Luft war kühl. Regenzeit: wir waren gewarnt worden. Nebensaison-Billigtarif! Schließlich faßte ich den Entschluß, komme was wolle, diese Straße zu überqueren. Auf der Verkehrsinsel stand jetzt eine breite Einheimische mit Schirm. Kaum noch Platz neben dem Ampelpfosten, doch ich hatte mich schon von der Hauswand ein paar Schritte entfernt, und es war mir peinlich, wieder umzukehren. Geduckt, als könne ich so wenigstens den Hals trocken halten, hüpfte ich in großen Sätzen über die tiefsten Pfützen hinweg, bespritzte mich auf dieses Weise aber nicht minder, da auch die Erhebungen in dem kaputten Asphalt überschwemmt waren. Die Insel war erreicht, die erste Ampel wurde mit meinem letzten Satz rot. * Erst nach einigen Sekunden wagte ich einen Blick auf die Frau neben mir. Zu meinem grenzenlosen Erstaunen bemerkte ich erst jetzt, daß sie ihren Schirm ein Stück in meine Richtung bewegt hatte und ihn nun zur Hälfte über meinen Kopf hielt, während ihre rechte Schulter naß wurde. Jetzt, wo ich meinen Kopf bewegte, sah sie mich direkt an. Sie hatte diese ebenmäßige sahnekaffefarbene Haut, diese wunderschönen vollen Haare, diese tiefschwarzen Augen. Und ein breites Lächeln. Sie sah mir ganz offen in die Augen und sagte mit einer warmen tiefen Stimme: »Nice weather, isnt it? Ha, ha!« Ich mußte auch lachen. Das Wetter war wirklich beschissen, aber der Regen kühlte die Luft ab. Sie konnte es nur so gemeint haben. Menschen sind nicht für den Regen gemacht. Wir rückten beide einen Schritt näher, um unter den Schirm zu passen, so gut es ging. An meinem linken Arm lief das Wasser hinunter auf meine nassen Sandalen. Sie roch warm und süßlich. Es wird wohl ihr Körpergeruch gewesen sein, kein Parfüm. Es war dieser Geruch, der sich in den Straßen ein wenig unter alle anderen Gerüche mischte. Es war kein bißchen unangenehm, nicht so wie mein eigener leichter Schweißgeruch, der mir auf einmal bewußt wurde, und der mir vor ihr peinlich war. Ob sie ihn auch als unangenehm empfand? Grün. Sie raffte ruhig ihr Kleid ein wenig gelb mit großen blauen Blumen und setzte die erste Gummisandale in den Sturzbach, sorgsam darauf bedacht, daß ich unter dem Schirm blieb. Dieser schöne braune Fuß, so ebenmäßig, so glatt. Ich möchte ihn küssen; was sind diese Menschen doch schön! dachte ich. In aller Ruhe wateten wir auf die andere Straßenseite, auf daß die eine die andere nicht naßspritze. Sobald wir unter dem Wellblech-Vordach des Cafés angekommen waren, machte sie ihren Schirm zu, nahm meinen herzlichen Dank warm lachend an. Sie sagte »youre welcome« und schlurfte in ihren blauweißen Gummisandalen unter den Vordächern davon. Plötzlich hatte ich keine Lust mehr, das Café zu betreten. Ich ging zwei Schritte hinaus in den jetzt ziemlich abrupt sich auströpfelnden Regen, bückte mich, zog die Socken aus und warf sie weg. 1998 |