Regen wieder

Manchmal fragt man sich doch, ob Regen nicht genau das richtige Wetter ist, um unwiderrufbare Entscheidungen zu untermalen. Wer will schon nachdenkend über das Endgültige sich von Sonnenschein und lachenden Menschentrauben da draußen verhöhnt wissen? Das mahnende Trommeln auf den Fensterblechen, das eilige Rauschen in der Regenrinne sind mir rücksichtsvollere Hintergrundmusik. Die vielen Schritte, die zu gehen sein werden, jeder ein Tropfen im Fluß, der doch auch nur eine Richtung kennt. Viel zu lange schon hatte ich mich am Ufer verhakt. Einmal losgerissen gibt es kein Zurück, aber welche Herausforderung war schon die kleine Bucht?

Nun stehe ich, den letzten Karton in Armen, in der Tür und lüfte Erinnerungen, damit sie nicht muffig werden. Wieviel Zeit ist vergangen, seit ich hier stand mit dem ersten Karton, voller Ahnungen, die frischen Wände in Gedanken zu einer Haut gestaltend? Ist denn Zeit vergangen? Was ist geschehen?

Zeit ist vergangen. Nun die Haut von den Wänden gestrichen, nun bloß ein glatter Raum, kein Atem von mir mehr, kein Duft von Ich. Unmerklich sind letzte Male vorbeigerauscht in diesen letzten Wochen. Nur wenige verbleiben diesem Abschiedsritual. Einen letzten Blick auf die feuchtglänzende Straße, ein letztes Mal der Geranienfrau gegenüber zugenickt, die schon nicht mehr genug Augenlicht hat um gewahr zu werden, daß hier die Vorhänge fehlen. Ein letztes Mal über Türen streicheln. Wann spürte ich zuletzt dieses Parkett sonnengespült unter nackten Füßen? Da gab es hier noch Bilder... Wem habe ich zuletzt den Türöffner gedrückt? Ihn jetzt zu betätigen, nur weil es das letzte Mal wäre – wozu? So nutzlos wie ich selbst in dieser perfekten Sauberkeit.

Empört drehe ich mich um und schließe die Tür hinter mir. Während ich abschließe (warum eigentlich?), strecke ich dem Guckloch die Zunge raus. Gleichgültig gehe ich langsam die Treppe runter und forsche nach Ahnungen von Zukunft, öffne die Haustür – und plötzlich wird mir klar: Da sind keine Ahnungen. Die Zukunft ist weiß. Ich fühle mich blind. Regen wieder.

–1998–