Zuviel Auf einem Stück Ödnis vor der Stadt, zwischen Kieseln und Staub, wächst ein Distelstrauch tapfer vor sich hin. Höflich lauscht er dem unbekümmerten Geplapper der Steine, dem gelangweilten Vibrieren des Bodens und versucht sich zu amüsieren. Obwohl die Sonne als blasse Käsescheibe sich nicht recht durch die städtische Dunstglocke wühlen kann, verspürt er doch ausreichend Heiterkeit bei dem Gedanken, daß sie noch da ist und immer da sein wird. Auch wäre ihm ungetrübter Sonnenschein gar nicht zupaß gekommen, denn er dorrte bereits geraume Zeit vor sich hin. Weich gaben seine Stacheln dem barschen Wind nach, schlaff ließ er die blaßblauen Blüten wacklig in die Höhe ragen, wartete wacker auf einen Regenguß, um die Trägnis der Langeweile mit frischem Saft aus sich herausspülen zu können. Da erbarmte sich seiner endlich eine flauschige mildgraue Regenwolke, ergoß ihr Wasser mit einem Schwung über den Distelstrauch und zog zufrieden ein Stück weiter. Der Strauch sah nun jämmerlich aus. Seine triefnassen Blüten berührten fast den Boden und schielten mit einem enttäuschten Ausdruck gen Himmel. Die Wolke wandte den Blick zurück, und ihr Lächeln erstarb im Schreck: »Liebe Distel, was schaust du denn so gegrämt? Ich meinte dir eine Freude bereitet zu haben.« Die Antwort kam mühsam und klang nach Tränen: »Ach liebe Wolke, das hast du auch. Ich hatte mich so nach dir gesehnt. Auch weiß ich wohl, daß es für dich noch nicht an der Zeit war, zu regnen. Ich weiß dein Geschenk zu schätzen. Nur bitte ich dich, laß mir ein wenig Zeit, mich zu sammeln. Die Freude kam so unerwartet und so reich über mich, daß ich eine Weile brauchen werde, um sie Schluck für Schluck aufzunehmen. Wenn ich sie gar zu hastig trinke, kann ich nicht an ihr gesunden.« 1999 |